4.3.1 Die Erziehung

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Unter Erziehung versteht man, die begünstigenden Einflüsse von der Umgebung zu benutzen bzw. zu fördern, damit die guten Veranlagungen der Individuen sich entfalten können bzw. die schlechten Eigenschaften in Grenzen gehalten werden.

Ein isoliert stehender Baum entwickelt in der Regel ein grobes Astwerk und hat oft die Tendenz, sich allzu breitzumachen. Die Belassung der Bäume in einem mehr oder weniger dichten Kollektiv erlaubt die Bildung einer sog. Waldform, welche eine effiziente Raumausnützung durch Bildung einer nicht allzu ausladenden Krone (sog. Apfelbaumtyp) erlaubt. Dies führt auch zur Bildung von relativ feinen Ästen, welche unter günstigen Umständen eine weitgehende, spätere, natürliche Astreinigung erlauben. Die erzieherischen Massnahmen spielen v.a. in derjenigen Phase eine sehr wichtige Rolle, in welcher der Hauptteil der Stammachse der Bäume gebildet wird. Dies ist in der Dickungsstufe der Fall.

Man muss zwischen einer kollektiven und einer individuellen Erziehung unterscheiden (siehe Abb. 4.17): Die kollektive Erziehung beruht auf dem Prinzip der Erreichung von günstiger Wirkung durch die Gestaltung der Bestockung als Kollektiv. Im Falle der individuellen Erziehung beziehen sich die Massnahmen auf ausgewählte Bäume, z.B. die Zukunftsträger.

Abb4.17.png

Abb. 4.17: Die zwei Formen der Erziehung: die individuelle und die kollektive.

Dies ist bei gezielter Begünstigung gewünschter Eigenschaften der Auslesebäume der Fall, z.B. bei der künstlichen Wertastung oder der Förderung eines Nebenbestandes. Obwohl letzterer grundsätzlich flächig erfolgt, dient er auch dazu, die Stämme der Auslesebäume einzupacken und zu schützen. Die individuelle Erziehung ist also eng mit einer positiven Auslese verbunden.

In der Regel erfolgt die Erziehung durch die Regelung des Wettbewerbes. In der Phase der Schaffung der für die Wertschöpfung wichtigen untersten 10 m Schaftteiles (also bis Ende der Dickung) strebt man eher eine genügend hohe Bestockungsdichte an. Man kann von einer Kompressionsphase sprechen. Bei gemischter Bestockung ist es wichtig, darauf zu achten, dass wettbewerbsschwächere Baumarten entsprechend gefördert werden.

Unter technischen Erziehungsmassnahmen sind Schaftkorrekturen in der Frühjugend vorzustellen (sog. Kronenschnitt) und die bezüglich Wertschöpfung bei den totasterhaltenden Baumarten (im wesentlichen den Koniferen) weitaus wirksamste Massnahme der künstlichen Wertastung. Diese Massnahme wird weiter unten detailliert dargestellt.


Kronenschnitt

Unter Kronenschnitt (oder Formschnitt) versteht man den direkten Eingriff, um die Form von sehr jungen Bäumen (d.h. in direkt erreichbarer Höhe) zu verbessern im Sinne der Bildung einer durchgehenden Achse (Hubert und Courraud, 1987) <ref>Hubert, M., Courraud, R., 1987: Elagage et taille de formation des arbres forestiers. Inst. p. le dévelop. forest., Paris, 292 S.</ref>. Dies geschieht durch die Entfernung von Zwieseln, durch die Korrektur von Fehlern an der Baumspitze (besonders am Endtrieb) oder durch die Entfernung von grossen, zu dominanten Seitenästen, deren Durchmesser 2,5 cm übersteigt. Der Kronenschnitt ist verwandt mit Techniken der Baumgärtnerei. Im Waldbau wird er hauptsächlich in der frühen Dickungsstufe, mit der Absicht, die Entwicklung einer durchgehenden Achse zu begünstigen, durchgeführt. Da solche Eingriffe hauptsächlich aus der Entfernung von dominanten Zwieseln bestehen, spricht man in diesem Zusammenhang oft auch von Entzwieselung.

Über die Zweckmässigkeit solcher Eingriffe gehen die Meinungen auseinander. Bei Baumarten, bei welcher die Zwieseltendenzen erblich bedingt sind (Buche, Eiche, Linde z.B.) resultiert aus dem Kronenschnitt die virtuelle Verbesserung der Form, aber nicht des Genotyps. In diesem Sinne ist ein solcher Eingriff grundsätzlich abzulehnen (Schädelin, 1934) <ref>Schädelin, W., 1934: Die Durchforstung als Auslese- und Veredlungsbetrieb höchster Wertleistung. Haupt, Bern & Leipzig, 96 S.</ref>, ausser für ganz spezielle Fälle, wo extrem wenige brauchbare Kandidaten vorhanden sind. Die Entzwieselung (bzw. Entgabelung), bei welcher der kürzere Ast unmittelbar am Stamm entfernt wird, kann vor allem bei Esche, Linde und Ulme, die zum Teil äusserst ausgiebig verzwieseln, als allenfalls gerechtfertigte Massnahme bezeichnet werden.

Im Falle von Pflanzungen mit weiten Pflanzabständen wird der Kronenschnitt angebracht, insbesondere bei Baumarten, welche dazu tendieren dicke, kräftige Äste zu bilden, namentlich beim Kirschbaum im Sinne einer vorgezogenen Wertastung. Diese Eingriffsart darf aber nicht mit einer Vorastung um die Bewegungsfreiheit in einer Dickung zu gewährleisten, verwechselt werden, wie sie vor allem in Nadelholzdickungen ausgeführt wird. Bei einer solchen Vorastung werden die Bäume nicht gezielt individuell, sondern eher systematisch oder gar schematisch (z.B. alle Bäume oder je 2 Pflanzreihen) bis auf eine Höhe von 2 bis 2,5 m aufgeastet. Für eine Auswahl der Elitebäume ist es zu diesem Zeitpunkt i.d.R. noch zu früh. Aus heutiger Sicht der hohen Arbeitskosten ist eine solche Massnahme ohnehin nicht mehr zu rechtfertigen. Der Kronenschnitt kommt systematisch zur Anwendung in einer speziellen Form individueller Wertholzerziehung in Hecken, entlang von Flurwegen oder Gewässern, wie sie in gewissen Regionen Frankreichs (z.B. Picardie) zur Anwendung kommt, insbesondere als winterliche Beschäftigung in landwirtschaftlichen Betrieben unter der Bezeichnung des baumweisen Waldbaus (sylviculture d’arbres). Es geht dabei darum, mit intensiver Pflege praktisch einzeln stehende Werthölzer (Nussbaum, Kirschbaum, Esche, Roteiche u.a.m.) auf einer minimalsten vom Boden erreichbaren Stammhöhe von 3 bis maximal 4 m regelrecht mit der Schere(allenfalls gestielte Flachschere) auszuschaffen und nachher praktisch allein wachsen zu lassen.

Der Kronenschnitt erfolgt im allgemeinen mit gestielten oder ungestielten Baumscheren mit einer flachen Schneide. Die Abtrennung der Äste bzw. der Kronenteile soll direkt am Astansatz, d.h. unmittelbar am Stamm erfolgen. Um eine rasche und günstige Überwallung zu ermöglichen, muss darauf geachtet werden, dass die Rinde vorsichtig angeschnitten wird. Bei denLaubbäumen wird der Eingriff vorzugsweise zwischen Ende Juli und Anfang August ausgeführt, da zu diesem Zeitpunkt das Risiko der nachträglichen Bildung von Wasserreisern am wenigsten hoch ist (Wignall et al. 1987) <ref>Wignall, T.A., Browning, G., Mackenzie, K.A.D., 1987: The physiology of epicormic bud emergence in pedunculate oak (Quercus robur L.); Response to partial notch girdling in thinned and unthinned stands. Forestry 60, 1: 45-56.</ref>. Er kann aber auch zu anderen Jahreszeiten erfolgen. Zeitpunkte, in denen die proleptischen Triebe gebildet werden, die Periode, in der der Saft aufsteigt sowie Frostperioden sind dabei aber zu meiden. Gipfeltriebe, die zufällig bzw. aufgrund exogener Einflüsse beschädigt wurden, sind bis auf die Höhe eines Ersatzastes oder oberhalb einer kräftigen, gut entwickelten Achselknospe (Seitenknospe) zurückzuschneiden. Dicke und schwere Seitenäste sind in zwei Schnitten zu entfernen: Um ein Aufreissen der Rinde am Stamm zu vermeiden, wird der Ast zuerst in einem Abstand von 30 - 40 cm vomStamm abgetrennt. Anschliessend wird der noch verbleibende Aststummel an seinem Ansatz sauber abgeschnitten.

Beim Schneiden von Bäumen besteht auch eine gewisse Infektionsgefahr. Diese bezieht sich namentlich auf Krankheiten wie den Bakterien-Krebs der Pappel (Xanthomonas populi Ridé & Ridé), den Eschenkrebs (Pseudomonas syringae subsp. savastonoi pv. fraxini Janse), den Buchenkrebs (Nectria ditissima Tul.) oder auch die Phomopsis-Krankheit der Douglasie (Phomopsis pseudotsugae Wilson). Es ist deshalb empfehlenswert, die Werkzeuge regelmässig zu desinfizieren, was z.B. mit Alkohol erfolgen kann. Bei gravierendem Befall ist das befallene Astmaterial zu verbrennen.

Ein ähnlicher Eingriff, der jedoch nicht einen erzieherischen, sondern einen phytosanitären Charakter aufweist, ist die Entfernung von Ästen, welche erste Anzeichen eines Krebsbefalles aufweisen (z.B. in Form von kugelförmigen Anschwellungen). Dies ist besonders beim Lärchenkrebs (Lachnellula willkommii Dennis) und beim Hexenbesen bzw. Astkrebs des Tannenkrebses (Melampsorella caryophyllacearum Schroeter) von praktischer Bedeutung.


Erziehung durch Schatten

Neben Erziehung durch Einpacken durch Nachbarn im Bestand, bzw. direkten Korrekturen, besteht die Möglichkeit, die Beschattung als erzieherischen Faktor zu berücksichtigen. Diese Form der Erziehung kommt im Plenterwald weitestgehend zur Anwendung. Bei Lichtbaumarten und Baumarten mit sympodischen Tendenzen (Buche) wirkt die Beschattung in der Regel ungünstig, zuerst durch starke Reduzierung des Wuchses, aber auch durch Förderung von Kurztrieben, was, wenn die Beschattung lang dauert, zum Verlust des aufrechten Wuchses oder zum Schrägwuchs (sog. Plagiotropie, siehe Abb. 4.18) führt. Eine mässige Beschattung von empfindlichen Baumarten (z.B. Buche) führt in der Phase, in der die Schaftformbildung von Bedeutung ist (Jungwuchs-Dickung), zur Ausprägung einer guten Schaftachse und feinem Geäst und ist somit trotz eduzierung des Höhenwuchses, zumindest in dieser Phase, zu empfehlen. So zeigen Morel und Planchais (2000)<ref>Morel, P.-J., Planchais, I., 2000: Plantation de hêtre sous abri; une technique à préconiser. Bull. Techn. ONF, No 39, Jaqnv. 2000:7-19.</ref>, dass die weitständige Pflanzung von Buchen in Bestandesgassen (relativer Lichtgenuss von 50 bis 60 %) einen guten Kompromiss zwischen Form und Wachstum aufweist.

Bei Koniferen reduziert der Schatten wohl die Höhenwuchsleistung, aber keineswegs die Fähigkeit, aufrecht zu wachsen. Schattenertragende Jungkoniferen (Fichte, Tanne) können während erheblich langer Dauer die Beschattung ertragen (Schütz, 1969) <ref>Schütz, J.-Ph., 1969: Etude des phénomènes de la croissance en hauteur et en diamètre du sapin (Abies alba Mill.) et de l'épicéa (Picea abies Karst.) dans deux peuplements jardinés et une forêt vierge. Beih. Z. Schweiz. Forstver. 44, 115 p.</ref>. Gleichzeitig bewirkt die Beschattung eine deutliche Reduzierung des Dickenwachstums der Äste. Das ist der Grund, warum Plenterjungbäume, auch wenn sie vereinzelt vorkommen, dünne Äste entwickeln.

Abb4.18.png

Abb. 4.18: Plagiotroper Wuchs mit Verlust des aufrechten Wuchses bei zu stark und zu lang beschatteten Buchen. (nach Kurth, 1946)<ref>Kurth, A., 1946: Untersuchungen über Aufbau und Qualität von Buchendickungen. Mitt. Schweiz. Anst. forstl. VersWes. 24, 2: 581-658.</ref>

Dieses Prinzip der Zurückhaltung der Astentwicklung kann auch für eine Halblichtbaumart wie die Föhre, die auf guten Standorten gerne grobastig wird, angewendet werden (Schöpf, 1954) <ref>Schöpf, J., 1954: Untersuchungen über Astbildung und Astreinigung der Selber Kiefer. Forstw. Cbl. 73: 275-290.</ref>. Die Waldföhreerweist sich hinsichtlich der Beschattung in der Jugend noch als ziemlich tolerant. Die Erziehung der Föhre am Halbschatten wird sowohl in der Schweiz (Vögeli, 1961) [[Referenz::Vögeli;1961;Vögeli, H., 1961: Die Schattenerziehung der Föhre. Schweiz. Z. Forstwes. 112, 5/6: 350-363.| ]]<ref>Vögeli, H., 1961: Die Schattenerziehung der Föhre. Schweiz. Z. Forstwes. 112, 5/6: 350-363.</ref> wie auch im Ausland (Beninde, 1943) <ref>Beninde, 1943: Die Behandlung natürlich verjüngter Kiefer unter Schirm. Deutsch. Forstwirtsch. 25, 105/106: 435-437.</ref> schon seit langem mit Erfolg praktiziert. Sie verlangt aber ziemlich viel waldbauliches Fingerspitzengefühl und Geduld. Die Überschirmung der Folgegeneration kann 20 bis 30 oder sogar noch mehr Jahre andauern. Um dabei aber dem Anstieg der Lichtbedürfnisse mit zunehmendem Alter der Föhren Rechnung zu tragen, muss die Dichte der Überschirmung nach und nach reduziert werden.

Die Schwierigkeit bei der Schattenerziehung besteht darin, dass durch die Beschattung wohl feine Äste gebildet werden, aber leider auch überschlanke Stammformen. Die Schattenerziehung führt zu einer Erhöhung der Empfindlichkeit gegenüber Schneeschäden. Dies istinsbesondere bei der vollständigen Entfernung des Altbestandes problematisch. Immerhin hat sich die Schattenerziehung für eine zur Grobastigkeit neigenden Baumart wie der Föhre und trotz der damit verbundenen Schwierigkeit als erfolgreichere Methode zur Eindämmung des Astbildung als diejenige der Förderung überdichter Bestockungen bewährt. Wie die Untersuchungen von Abetz (1970) [[Referenz::Abetz;1970;Abetz, P., 1970: Bestandesdichte und Astdurchmesser bei der Rheintalkiefer. Allg. Forst- u. J.-Ztg. 141, 12: 233-238.| ]]<ref>Abetz, P., 1970: Bestandesdichte und Astdurchmesser bei der Rheintalkiefer. Allg. Forst- u. J.-Ztg. 141, 12: 233-238.</ref> und später auch von Ganther (1983) <ref>Ganther, S., 1983: Untersuchung über die Wuchsdynamik, Nachbarschaft, soziologische Umsetzung und Qualitätsentwicklung in natürlich verjüngten Föhren- Jungwäldern in der Gemeinde Glattfelden. Schweiz. Z. Forstwes. 134, 11: 905-914.</ref> in sehr dichten Föhrendickungen gezeigt haben, besteht ab einer gewissen Dichte von ungefähr 15’000 Pflanzen pro Hektare kein Zusammenhang mehr zwischen der Anzahl Bäume und dem Durchmesser ihrer Äste. Hingegen muss man bei so hohen Bestockungsdichten mit entsprechenden Stabilitätsproblemen rechnen, weil die zu stark bedrängten Individuen zu sehr hohen Schlankheitsgrad tendieren, gekrümmte Stammformen bilden, wie wenn sie nicht einmal mehr in der Lage wären, ihr eigenes Gewicht zu ertragen.

Referenz

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