4.1.6 Schlussfolgerungen: Eigenschaften eines polyvalenten Waldbaus

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Aus der Sicht der oben erwähnten Veränderungen, speziell der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, müssen heute die folgenden Prinzipien in Frage gestellt werden:

  • Der Alleinvertretungsanspruch oder zumindest der Vorrang der Holzproduktion muss aufgegeben werden zugunsten eines Konzeptes, bei dem man von vornherein den grössten Gesamtnutzen der verschiedenen Ressourcen anstrebt, und dies auch auf Bestandesebene. Beim polyvalenten Waldbau ist nur ein Teil der bestandesbildenden Bäume für die Produktion wertvollen Holzes bestimmt. Der übrige und meist stammzahlreichere Teil ist geeignet, eine oder gleichseitig mehrere andere Funktionen zu erfüllen (z.B. Umfütterung der Wertträger, Förderung der Vielfalt). Auf der Massnahmenebene führt die waldbauliche Entwicklung weg von den kostspieligen Erziehungseingriffen für eine ganze Bestockung und folgt einem neuen Konzept der Bestandeserziehung, welches aus einer Kombination verschiedener Eingriffsformen innerhalb der gleichen Bestockung und zum gleichen Zeitpunkt besteht. Aus diesem differenzierteren Vorgehen ergeben sich Eingriffe, die wesentlich stärker als bisher auf die verschiedenen Bestandesglieder ausgerichtet sind (sog. situative Eingriffsart): zum einen auf die in der Anzahl beschränkten Zukunftsbäume, die den Hauptteil zur Wertschöpfung beitragen, und zum anderen auf die Bäume, die den sogenannten Begleit- oder Füllbestand bilden und für andere Zwecke bestimmt sind.
  • In bestehenden Konzepten wird die Zeit als ein wesentlicher Faktor der Holzproduktion angesehen. Entsprechend des Leitmotivs "Zeit kostet nichts!" (Schütz, 1996) <ref name="Schüz">Schütz, J.-Ph., 1996: Bedeutung und Möglichkeiten der biologischen Rationalisierung im Forstbetrieb. Schweiz. Z. Forstwes. 147, 5: 315-349.</ref> werden diese Konzepte nun durch ein anderes ersetzt, bei dem die Zeit nicht mehr entscheidend ist. Dieses neue Konzept basiert auf der Feststellung, dass die Holzproduktion im Grunde ein ganz natürlicher Prozess ist, und dass die Natur diesen Rohstoff ohne menschliches Zutun gratis liefert. Selbstverständlich bleibt die Zeit ein wichtiger Faktor, wenn es um die Festlegung der Bedingungen geht, unter denen die Nachhaltigkeit der Ressource zu gewährleisten ist. Als Kostenfaktor aber spielt die Zeit nur dann eine Rolle, wenn der Wert der Ressource durch den Einsatz von Arbeitsmitteln gesteigert werden soll. Die Wertsteigerung ist in einem solchen Fall der Mehrwert gegenüber dem, was die Natur von sich aus gratis liefern würde.
  • Von einem pflegeintensiven Waldbau, der biologisch optimale Lösungen anstrebt, geht die Entwicklung hin zu solchen Konzepten, die sich auf eine möglichst geringe Einmischung in sylvigenesische Prozesse gründen. Waldbauliche Eingriffe sind dabei nur sparsam vorzusehen. Ein solches Vorgehen bildet - neben dem Grundsatz der Konzentration auf das Wesentliche - den zweiten Ansatz für biologische Rationalisierung (Schütz, 1996) <ref name="Schüz">Schütz, J.-Ph., 1996: Bedeutung und Möglichkeiten der biologischen Rationalisierung im Forstbetrieb. Schweiz. Z. Forstwes. 147, 5: 315-349.</ref> Der Waldbau ist also bestrebt, sich alles das zunutze zu machen, was die Natur von sich aus liefert. Es geht auch darum, weniger deterministisch vorzugehen, sondern das zu übernehmen, was die Natur liefert. Er bewegt sich somit in Richtung eines „naturopportunen“ Waldbaus, d.h. eines Waldbaus, der sich an der natürlichen Entwicklung orientiert.
  • Die bereits erwähnten wirtschaftlichen Notwendigkeiten führen dazu, dass Waldbewirtschaftungssysteme bevorzugt werden, welche die Möglichkeiten der natürlichen, selbsttätigen Entwicklung nutzen. Solche Systeme kommen mit wenigen und kostengünstigen Eingriffen aus und zielen nicht auf maximale Erlöse ab, sondern auf das günstigste Verhältnis zwischen Aufwand und Wirkung. Dabei sollten jedoch zwei Irrwege vermieden werden, die sich auf lange Sicht als verhängnisvoll erweisen könnten:
    • Der Glaube, dass die Natur von sich aus immer das beste Resultat liefert,
    • Die willkürliche, d.h. unkontrollierte einzelstammweise Nutzung.

Der erste Irrweg rührt von der falschen Meinung her, dass allein die Natur den unterschiedlichen Bedürfnissen am besten entsprechen könne. Dies gilt nicht einmal für die patrimoniale Wirkung des Waldes oder die Erhaltung der Biodiversität. Den Wald sich selbst zu überlassen ist im Sinne der Multifunktionalität in keinem Fall eine geeignete Lösung. Des weiteren ist es aus ökologischen wie auch aus ökonomischen Gründen erforderlich, dass überall dort, wo die Holzproduktion mit anderen Interessen nicht inkompatibel ist, Lösungen bevorzugt werden, welche die Holzproduktion mit anderen Interessen kombinieren.

Aus ethischer Sicht und auch im Hinblick auf die Erhaltung des Waldes als ein Teil des natürlichen Erbes (patrimoniale Funktion) könnte man sogar fragen, ob es angemessen ist, die Natur zu idealisieren und zu erhalten, ohne den Menschen in die Überlegungen einzubeziehen. Ein Naturschutz, der die Anwesenheit des Menschen verleugnet, ist Ausdruck einer allein auf die Natur ausgerichteten Wahrnehmung. Konzepte, welche beabsichtigen, die Natur unter einer „Käseglocke“ zu konservieren, sind nur in speziellen Fällen wertvoll, z.B. zur Erhaltung besonderer Biotope oder als Anschauungsobjekte für die in natürlichen Waldökosystemen ablaufenden Prozesse. Es geht hier nicht darum, die Unterschutzstellung von Wäldern grundsätzlich in Frage zu stellen oder ihre Bedeutung zu leugnen. Gerade waldbaulich interessierte Personen sind im Zusammenhang mit der Anpassung der Bewirtschaftungsverfahren an die natürlichen Prozesse im Ökosystem Wald mehr denn je am Studium unbeeinflusster, primärer Urwälder interessiert. Ein moderner und effizienter Naturschutz jedoch muss nach einem möglichst harmonischen und, möglichst vielfältigen Zusammenspiel aller Beteiligten und ihrer Interaktionen trachten. Ein Schutz sollte daher ökosystemisch verstanden werden.

Andererseits sollte man nicht den Fehler begehen, die Holzernte als ein Rosinenpicken zu verstehen, d.h. eine unkontrollierte einzelstammweise Nutzung zu betreiben, welche die Grundsätze der nachhaltigen Ressourcenerneuerung unberücksichtigt lässt. Die Vergangenheit lehrt uns, dass die extensive und ungeregelte Plenterung, die noch im vergangenen Jahrhundert angewendet wurde, keineswegs zu einer rationellen und harmonischen Bewirtschaftung führt. Gerade bei dieser Art von Nachhaltigkeit zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen der heutigen Form der geregelten Plenterung, die als ein Produktionsprinzip definiert ist, und der einzelstammweisen, ungeregelten Nutzung, welche die Bestandeserneuerung völlig ausser acht lässt.

Referenzen

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