2.4.2 Die Reiteration oder Bildung einer sekundare Krone

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Die Bildung von Klebästen ist u.a. ein angeborener Mechanismus bei den Gehölzpflanzen zur Wiederherstellung bzw. Erneuerung des Blattwerkes. Das Phänomen ist als sog. Reiteration nach Hallé Oldemann et al (1978) <ref>Halle, F., Oldeman, R.A.A., Tomlison, P.B., 1978: Tropical trees and forests: an architectural analysis. Springer, Heidelberg, 441 p.</ref> benannt. Die ähigkeit erlaubt es, dass geschädigte Bäume ein neues Geäst (sog. Sekundärkrone) bilden und gehört somit zum natürlichen Anpassungssystem der Bäume.

Neue Äste können funktionell aus zwei morphogenetisch unterschiedlichen Formen von Knospen entstehen, nämlich von:

  • proventiven Knospen (oder schlafenden Knospen). Das sind solche, die seit der Triebbildung vorhanden sind und unter hormoneller Einwirkung in voller Dormanz stehen
  • adventiven Knospen oder neu gebildeten. Abb. 2.17 zeigt die Eigenschaften der Proventivknospen. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie stets mit der Markröhre verbunden sind. Diese Verbindung ist aber nicht funktionell, sondern nur als Spur seit der Entstehung der Knospe.

Abb 2.17.png

Abb. 2.17: Die verschiedenen Formen von Proventivknospen oder schlafenden Knospen. <ref>Mathey, A.,. 1929 : Traité théorique et pratique des taillis. Vilaire, Le Mans. 353 S.</ref>

Wenn sich eine Proventivknospe als Klebast entfaltet, bleibt diese Spur unverändert. <ref name="Fontaine">Fontaine, F., Druelle, J.-M., Clément, Chr., Burrus, M., Andran, J.-Cl., 1998: Ontogeny of proventious epicormic buds in Quercus petraea; I. In the 5 years following initiation. Trees 13: 54-62.</ref> zeigen, dass es unterschiedliche Formen von Proventivknospen gibt (siehe Abb. 2.18), nämlich solche mit Blattanlagen und solche ohne (kleine runde). Bei Jungeichen ist das Verhältnis von Primärknospen (mit Blattanlagen) zu sekundären (runden) nach Fontaine et al (2001)<ref>Fontaine, F., Colin, F., Jarret, P., Druelle, J.-L., 2001: Evolution of the epicormic potential on 17- year-old Quercus petraea trees: first results. Ann. For. Sci. 58: 583-592.</ref> in etwa 1/3 zu 2/3. Im Unterschied dazu ist diese Verbindung bei den Adventivknospen, welche erst nachträglich, z.B. durch Wundgewebe, neu gebildet werden, nicht vorhanden.

Bei der Bildung von neuen Ersatztrieben (Wasserreiser), treiben im Normalfall Proventivknospen unter hormoneller Aufhebung ihrer physiologischen Ruhe (Dormanz) aus. Dies erfolgt im Normalfall, d.h. wenn keine Knospenbeschädigung besteht, unter Lichteinwirkung. Ansonsten können neuen Knospen (Adventivknospen) aus dem Kallusgewebe entstehen. Wir nennen solche neugebildete junge Triebe Wasserreiser, und Klebäste, wenn sie sich zu verholzten Ästen weiterentwickeln.

Abb 2.18.png

Abb. 2.18: Unterschiedliche Formen der Knospen bei den Jahrestrieben der Eiche nach Fontaine et al (1998)<ref name="Fontaine">Fontaine, F., Druelle, J.-M., Clément, Chr., Burrus, M., Andran, J.-Cl., 1998: Ontogeny of proventious epicormic buds in Quercus petraea; I. In the 5 years following initiation. Trees 13: 54-62.</ref>

Die Proventivknospen bilden sich zur Zeit der Sprossbildung (siehe Abb 2.18). Sie können während vielen Jahren in absoluter Dormanz bestehen. Durch das Dickenwachstum werden sie aber nach und nach überwachsen. Auch wenn sie relativ rasch von der Rinde bedeckt werden und somit äusserlich nicht mehr sichtbar sind (siehe Abb. 2.17), vermögen sie doch eine gewisse Zeit lang zwischen Rinde und Holz mit dem Dickenwachstum mitzuwachsen, ohne deswegen austreiben zu müssen. Irgendwann kommt jedoch der Zeitpunkt, wo sie gänzlich in den Holzkörper einwachsen. Die Dormanz wird von Hormonen (Auxine) gesteuert, die von den apikalen Meristemen ausgeschieden werden.

Die schlafenden Knospen sind als eine Art Reserve zu betrachten, mit der ein Baum z.B. auf einen traumatischen Blatt- oder gar Kronenverlust reagieren kann. Je nach Baumart können die schlafenden Knospen mehr oder weniger lange Zeit am Leben, d.h. funktionsfähig bleiben. Während z.B. bei der Fichte und der Lärche diese Lebensdauer nur einige Jahre beträgt, liegt sie bei der Birke immerhin schon bei ungefähr 20 Jahren. Die schlafenden Knospen der Eiche dagegen können z.T. sogar noch nach 75 Jahren austreiben

Das Hormon Indolacetylsäure, welches von den Meristemen gebildet wird und sich in der ganzen Pflanze verteilt, ist für die Aufrechterhaltung der Dormanz der schlafenden Knospen verantwortlich. Wenn nun die Konzentration dieses Hormons unter einen gewissen Schwellenwert sinkt, wird die Dormanz aufgehoben und die Knospen können austreiben und zuerst einen Wasserreiser bilden, welcher erst, wenn er einmal verholzt bzw. mehrjährig ist, als eigentlicher Klebast bezeichnet wird (siehe Abb. 2.19).

Abb 2.19.png

Abb. 2.19: Sekundärastbildung oder sog. Wasserreiser bzw. Klebäste als Phänomen der Reiteration der Bäume.

Erklärungen im Text.

Die Entstehung solcher Äste, besonders, wenn sie auf erwachsenen Bäume vorkommen und das untere Stammstück (d.h. potentiell wertvollsten) betreffen, können zu einer Verschlechterung der Holzqualität und damit zu einer deutlichen Entwertung des Holzes führen.

Man unterscheidet ferner zwischen den Wasserreisern und den Maserknollen. Letztere entstehen als Folge einer Wuchsstörung unter mikrobiellen Einwirkung. Es handelt sich um ein Büschel von neuen Ästen aus schlafenden Knospen, was auch als Knospensucht bezeichnet wird. Die von dieser Knospensucht befallenen Stammpartien können mit der Zeit beulenartig anschwellen, was zur Bildung der erwähnten Maserknollen oder auch Maserkröpfe im Holz führt. Diese Erscheinung wird u.a. hauptsächlich bei den Eichen beobachtet.

Die Bildung von Wasserreisern als natürlicher Mechanismus zur Vergrösserung der Krone bzw. zur Neubildung von Kronenteilen entsteht als Folge einer Störung des Gleichgewichtes zwischen dem Wurzel- und dem Blattwerk eines Baumes. Sie tritt z.B. bei Bäumen auf, deren Gesundheitszustand sich verschlechtert (v.a. bei der Tanne) oder deren Krone aus anderen Gründen ungenügend entwickelt ist. Dies ist vor allem in Beständen mit einer erhöhten Bestandesdichte der Fall. Man spricht in diesem Fall von Angstreisern, Roussel (1976).

Dasselbe Phänomen kann aber aufgrund anderer Ursachen auftreten. Das Sonnenlicht führt zum Abbau der Indolacetylsäure. Durch die Reduktion der Hormonkonzentration kommt es zur Aufhebung der Dormanz der schlafenden Knospen. Deshalb kann man die Bildung von Wasserreisern häufig bzw. entlang der Stammachse von älteren Bäumen beobachten, welche plötzlich freigestellt wurden. Dabei treten die Wasserreiser vor allem auf jenen Bereichen der Stammoberfläche auf, wo die direkte Sonnenbestrahlung am stärksten ist. Dies ist besonders auf der SSO - exponierten Stammseite der Fall. Man spricht in diesem Fall von Lichtreisern.

Genetische Unterschiede zwischen einzelnen Individuen und zwischen verschiedenen Populationen bewirken, dass der für die Bildung von Wasserreisern kritische Schwellenwert der Lichteinstrahlung (bzw. der Hormonkonzentration) beträchtlich differieren kann. Dies erklärt, warum gewisse Individuen eines Bestandes stärker von Wasserreisern befallen sind als andere Bäume, welche eigentlich unter denselben äusseren Bedingungen wachsen. Bei der Untersuchung der Klebastbildung in ausgewachsenen Buchenbeständen in der Lichtungsphase, fanden Altherr und Unfried (1984), dass Buchen, welche vor der Bestandeslichtung schon kleine Klebäste aufwiesen, mit wesentlich mehr Klebastbildung nach der Lichtung reagieren als die klebastfreien Individuen. Dies deutet auf die postulierten genetischen Unterschiede hin und gleichzeitig eröffnet es ein Kriterium für die Auslese von verbleibenden Buchen in der Lichtungsphase.

Die auf die Bildung von Klebästen am empfindlichsten Baumarten sind die Eichen, wobei die Stieleiche anfälliger ist als die Traubeneiche, die Ulme, die Linde, die Tanne und etwas weniger auch die Buche und die Esche.


Referenzen

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