2.2.2 Klassifikation der sozialen Stellung nach Kraft

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Im Kollektiv mit horizontalem Schluss bilden die Kronen eine oder mehrere deutlich erkennbare Schichten aus, welche jedoch normalerweise nie absolut homogen sind. Kleine Wuchsunterschiede von einigen Dezimetern verleihen den Individuen verschiedene Stellungen im Kampf um das Licht. Die Unterschiede sind um so ausgeprägter, je dichter die Bestände sind und je länger die Bestände schon im Dichtstand stehen.

Die soziale Stellung innerhalb derselben Schicht bestimmt die Entwicklungschancen der Individuen. Sie spielt somit eine bedeutende Rolle im Waldbau. Um die individuellen Entwicklungschancen in einem gleichförmigen Bestand charakterisieren zu können, definiert man die soziale Stellung der Bäume nach einer Klassifikation, wie sie von Kraft (die soziale Stellung der Bäume nach einer Klassifikation, 1884)<ref name="Kraft">Kraft, G., 1884: Beiträge zur Lehre von den Durchforstungen, Schlagstellungen und Lichtungshieben. Klindworth's, Hannover, 147 S.</ref> vorgeschlagen wurde:

0 vorherrschend 1 herrschend 2 mitherrschend 3 beherrscht 4 unterdrückt

Abb 2.3.png

Abb. 2.3: Die Klassifikation von Kraft für die Einteilung der Bäume nach ihrer sozialen Stellung in Bestockungen.


Vorherrschend (0): Bäume, welche mit ihrer Höhe deutlich über den oberen Kronenschirm hinausragen. Diese Stellung ist im gleichaltrigen Bestand selten und sie begrenzt sich auf gewisse Lebensphasen (Dickungen).

Herrschend (1): Bäume, welche voll am oberen Kronenschirm beteiligt sind. Sie weisen ein gutes Höhenwachstum und eine kräftige, allseitig gut entwickelte, regelmässige Krone auf.

Abb 2.4.png

Abb. 2.4 : Soziale Differenzierung in jungen Bestockungen, dargestellt mit der Stammzahlverteilung der vier sozialen Klassen im Verhältnis zum BDH (Brusthöhendurchmesser). Gilt für Fichtenbestockung. Hier am Beispiel einer Versuchsfläche der WSL in Chanéaz (VD). (nach Nägeli, 1952<ref name="Nägeli">Nägeli,Nägeli, W., 1952: Aufastungsversuche in gleichaltrigen Nadelholzbeständen des schweizerischen Mittellandes. Mitt. Schweiz. Anst. forstl. VersWes. 28: 271-354 </ref>)


Mitherrschend (2): Bäume, welche auch noch am oberen Kronenschirm beteiligt sind. Im Vergleich zu den herrschenden Individuen ist jedoch ihre Krone weniger vital und weniger gleichmässig entwickelt.

Beherrscht (3): Bäume, welche nicht mehr am oberen Kronenschirm beteiligt sind. Die Krone geniesst deshalb kein volles, direktes Licht mehr. Sie ist aber noch im Kontakt mit den Kronen der herrschenden und mitherrschenden Individuen.

Unterdrückt (4): Bäume, deren Krone nicht mehr im Kontakt mit den Kronen der herrschenden und mitherrschenden Individuen ist. Ihre Spitze ist i.d.R. von Ästen der benachbarten Bäume überwachsen.

Sobald der Kronenschluss erreicht ist, nimmt der Wettbewerb zu. Dies führt zu einer Differenzierung der sozialen Klassen. Wie Abb. 2.4 zeigt, fallen die Unterschiede immer stärker aus. Dies gilt sowohl bezüglich Durchmesserspanne wie auch bezüglich Stammzahlen. Die sozial untersten Klassen verlieren wegen der Mortalität immer mehr an Stammzahl.

Die Abb. 2.5<ref>Schütz, J.-Ph., 1984: Zur Kontrolle der Bestandesdichte und der Durchforstungsstärke. Schweiz. Z. Forstwes. 135, 2: 113-122.</ref> veranschaulicht die Wettbewerbsverhältnisse am Fallbeispiel der Stammzahlenentwicklung in Abhängigkeit der Oberhöhe für eine Fichtenbestockung. Ausgehend von einem Kollektiv mit anfänglich 4500 Stämme/ha (Pfeil in der Abb. 2.5) wird der Kronenschluss bei einer Oberhöhe von ungefähr 6 m erreicht. Erfolgen keine regulierende Stammzahlentnahmen, erreicht dieses Kollektiv die Zone einer kritischen Dichte (Zone 3) bei einer Oberhöhe von 12 bis 13 m. Als kritisch wird hier die Bestockungsdichte veranschlagt, welche zu einer natürlichen Mortalität oder natürlichen Ausscheidung führt.

Abb 2.5.png

Abb. 2.5 : Darstellung der Wettbewerbsbedingungen in jungen Fichtenbeständen, am Beispiel der Entwicklung der Stammzahlen in Funktion der Oberhöhe. Die Kurven, welche unterschiedliche Konkurrenzzonen abgrenzen, wurden aufgrund der Kronendimensionen berechnet. Die Kurve a entspricht dem eintretenden Kronenschluss (Deckungsgrad von 1,2). Die Kurve b zeigt die natürlich maximal erreichbare Bestockungsdichte. Zwischen diesen zwei Grenzlinien kann man drei Bereiche unterschiedlich starker Wettbewerbsintensitäten erkennen:

Obwohl die Klassifikation von Kraft eine breite Anerkennung gefunden hat, muss ihre Anwendung aus heutiger Erkenntnis in zweierlei Hinsichten kritisch begrenzt werden:

  • Weil sie gutachtlich Klassen bildet, um ein Phänomen, das in der Tat kontinuierlich ist, gibt es verschiedene Übergänge. Für eine differenzierte und feine Analyse der sozialen Hierarchie arbeitet man heute vermehrt mit einer Rangordnung in Bezug auf den Durchmesser (z.B. die 100 stärksten, die 100 bis 200 usw.)<ref>Preuhsler, T., Schmidt, R., 1989: Beobachtungen auf einem spät durchforsteten Fichten-Versuch. Forstwiss. Cbl. 108: 271-288.</ref>.

Referenzen

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